Liebe Freunde,
Samstagabend habe ich mal wieder im Restaurant „Berlin“ ausgeholfen. Flo und Clemens haben so fromme Wünsche, die ich mit meinem Gehalt bei Gottfried allein leider nicht stemmen kann, also bin ich froh über die Gelegenheitsarbeit in der Gastronomie im traditionell ausgerichteten Edelrestaurant. Das Gute dort ist, dass viele Familien zum Essen kommen und das Restaurant in der Regel um 23 Uhr schließt, weil die letzten Gäste gegen 22 Uhr gehen.
Das Schlechte sind die Familien mit ihren verzogenen Kindern. Einfach gruselig.
Am Samstag war Herr Dr. M. mit seiner entzückenden Gattin und den Kindern Max-Bernhard und Carl-Bent zu Gast. Max ist 11 und Carl ist 6 Jahre alt. Sie waren in Begleitung einer weiteren Familie, die ebenfalls zwei Kinder hatten, vom Alter her ungefähr gleich wobei die Freunde eine Tochter hatten, die ziemlich nach Teenager aussieht. Die Kinder saßen zusammen und die Eltern auch. Man sollte doch vermuten, dass die Kinder einen gemeinsamen Besuch im Restaurant nutzen, um sich ausgiebig zu unterhalten und Spaß zu haben. Stattdessen reichten ihnen die Mütter, kaum dass sie saßen, Ipods und Nintendos und jedes Kind starrte gebannt auf seinen Monitor, die Finger tippten angespannt auf die Geräte, dass es nur so knackte am Tisch. Das Mädchen hatte ein Iphone und war damit irgendwie beschäftigt, jedenfalls sprach keins der Kinder mit anderen Anwesenden, sie hatten alle keine Zeit, in die Speisekarte zu schauen. Aus einem der vier Geräte erklang eine blecherne Gladiatorenmelodie und dann der begeisterte Ruf von Max: „Ich habe jetzt Level 5 geschafft! Ich habe jetzt den besten Score ihr Loser!“
Anerkennende Blicke von den anderen Jungs, Augenrollen vom Mädchen.
„Schön für Dich!“, der Kommentar des Mädchens.
„Mach sofort den Ton aus!“, zischt Vater M..
„Warum denn, dann höre ich ja gar nichts“, schimpft sein Sohn Max.
„Ton aus“, Mutter M..
Wieder herrliche Ruhe, die Eltern können sich ganz der Speisekarte widmen. Als ich die Bestellungen aufnehmen will, sind die Eltern recht schnell fertig. Die Kinder allerdings sind kaum aus ihrer Traumwelt zu bewegen. Sie wirken wie viel beschäftigte Manager, denen man aus purer Sorge ein Schälchen zu Essen hinstellen muss, da sie sonst verhungern würden. Charmant und mit viel Verständnis nehme ich die Bestellung für die Kinder auf. Es scheint, als wäre der Restaurantbesuch für die Kinder kein Privileg, sondern eine Qual, die sie irgendwie hinter sich bringen müssen. Ist das eigentlich normal? Als ich Kind war und meine Eltern mich mal mit in ein Restaurant nahmen, was selten genug vorkam, war ich immer so aufgeregt und begeistert, dass ich alles begierig aufnahm, um bloß nichts zu verpassen, sei es der komplette Inhalt der Speisekarte, die Tischdekoration oder die Beobachtung der anderen Gäste. Diese Kinder hier scheinen von der Außenwelt nicht mehr viel mit zu bekommen.
„Nun unterhaltet Euch doch mal“, fordert Mutter M. auf.
Keine Reaktion.
Stattdessen hektischer Gerätetausch am Tisch, erneut Tippen und Wischen über Bildschirme.
Plötzlich Geschrei. Klein Carl ist richtig wütend, der Kopf rot und der Mund voll Spucke.
„Mama, der hat einen Code in den Ipod gemacht, ich kann jetzt nicht mehr spielen!“
Selbstgefälliges Grinsen von Max, der ihm gegenüber sitzt.
„Mach sofort den Code aus meinem Ipod raus“ (Mutter M.)
„Das ist mein Ipod“ (Max).
„Nein, der gehört mir!“ (Mutter)
Das ältere Kind der Freunde, ein Mädchen im Teenageralter, die die ganze Zeit damit beschäftigt war, mit ihrem Iphone auf Facebook zu kommunizieren, dreht sich mit einer abfälligen Geste zu Max, den sie scheinbar verachtet.
„Haha, du hast ja gar keinen eigenen Ipod“, spottet sie und hält dabei stolz das abgelegte IPhone der Mutter in der Hand.
„Habe ich wohl!“ (Max)
„Hast du nicht!“ (Mutter von Max)
Ein „Siehst Du“ Blick vom Mädchen, die sich wieder gelangweilt ihren Facebook Kontakten widmet.
„Der soll den Code raus machen, sonst schreie ich!“(Carl)
„Mach sofort den Code raus!“ (Vater M.)
„Und was wenn nicht?“ (Max).
Vater M. sammelt konsequent die Geräte seiner Kinder ein, die Freunde tun es ebenfalls. Die Kinder wirken wie amputiert ohne die Geräte in ihren Händen.
Eisiges Schweigen am Tisch. Fußtritte der Jungs unterm Tisch, die immer heftiger werden.
„Mama, kann ich mich zu Euch setzen“ bittet die Tochter, die es kaum noch erträgt, neben Max zu sitzen.
„Nein, bleib da, ihr könnt euch doch nett unterhalten!“ schlägt die befreundete Mutter vor.
„Toll. Und worüber?“, fragt die Tochter.
„Na zu Beispiel wie es in der Schule ist, was ihr so für Noten schreibt!“, schlägt Mutter M. vor, deren Kindern nur Einsen schreiben.
Die Tochter, offenbar keine Einserschülerin, verdreht genervt den Kopf.
Carl krabbelt unter den Tisch, sein kleiner Freund ebenfalls.
„Aua! Mama, die haben mir Tomatensauce auf die Schuhe geschmiert!“(Max)
„Nein, das haben sie nicht!“ (Mutter M., bemüht um Deeskalation, denn die Gäste an den Nachbartischen schauen schon sehr vorwurfsvoll rüber).
„Haben wir dohoch!“ (Carl und sein Freund mit einem frechen Grinsen im Gesicht).
Frau und Herr Dr. M. reagieren nicht mehr und essen weiter in der Hoffnung, dass nun Ruhe herrscht.
Max nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Apfelschorle und rülpst laut. An den Nachbartischen herrscht Mucksmäuschenstille, alle anderen Gäste sind gespannt, wie die Eltern nun reagieren. Ich wette, viele warten auf Ohrfeigen!
Am Tisch selbst herrscht entsetztes Schweigen, hilflose Blicke der Eltern, die sich gegenseitig die von allen erwartete Maßregelung mit Blicken zuwerfen.
„Max! Benimm Dich!“ ruft die Tochter der Freunde und wendet sich deutlich ab.
Erschütterter Blick von Frau M., die Freunde kichern verlegen.
„Ich weiß auch nicht, von wem er das hat“ sagt sie mit vorwurfsvollem Blick auf ihren Sohn.
„Das habe ich von Euch! Ihr furzt und rülpst auch dauernd rum, vor allem Papa!“ ruft Max so laut, dass die gesamte Gästeschar es hören kann.
Dr. M. ist sichtlich erzürnt, blickt verlegen in den Raum, sein Blick zu seiner Frau sagt „Hilf mir!“
„Max jetzt reiß dich mal zusammen!“ sagt er schließlich, als die Frau nichts sagt.
„Aber das stimmt, Papa furzt und rülpst echt zuhause rum wie so ein Schwein, er sagt immer, er darf das, weil er Helikopterbakterien im Darm hat!“
„Also wirklich!“ rufen beide Eltern, blicken verstohlen in den Raum um sicherzugehen, dass alle Gäste pikiert wegschauen. Die Gespräche der Nachbartische sind bereits seit einiger Zeit verstummt. Es ist mucksmäuschenstill im Raum.
Nachdem die Eltern eingesehen haben, dass es viel besser und ruhiger und vor allem weniger peinlich ist, wenn die Kinder schön an ihren Geräten arbeiten, sind ruckzuck sämtliche Codes wieder entsperrt und die Fragen des Eigentums an Ipods vertagt.
„Ich finde es nicht schlimm, dass sie dauernd vor den Geräten hängen“ höre ich Frau M. beim Verlassen des Restaurants zu ihrer Freundin sagen „das werden alle mal Zuckerbergs oder Jobs, die hatten bestimmt auch schon in der Jugend eine solche Leidenschaft für Computer.“
Die Freundin stimmt ihr selbstsicher zu, während sie ihren Sohn sanft wie einen Blinden nach draußen führt, da der sehr beschäftigt ist, das nächste Level im Herausgehen zu knacken und vor die Tür zu laufen droht. „Da mache ich mir auch überhaupt keine Sorgen!“ Das ist also die nächste Generation der Computernerds.
Na dann!
Eure Hedda